Friday, June 21, 2013

Die kommende Internet-Zensur


(Geschrieben von Chaos Computer Club)
Früher galt das weltweite Netz als Heimstatt für freie Meinungsäußerung, ungehinderte Kommunikation und Internationalität. Doch heute sehen wir viele Bestrebungen, diese Freiheiten immer weiter einzuschränken. Rechte der Bürger sollen kommerziellen und staatlichen Interessen geopfert werden. Auch Deutschland ist von diesen Maßnahmen betroffen.

Die Reporter ohne Grenzen (ROG) haben den 12. März zum "Welttag gegen Internetzensur" erklärt. Zensur im World Wide Web hat eine lange Geschichte. So erwägt die EU-Kommission die Aufnahme von Internetsperren gegen Kinderpornographie in dem Ratsbeschluß gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern. Unter dem Vorwand, moralische Normen, die nationale Sicherheit, Religion oder die Rechte ethnischer Minderheiten oder gar das "spirituell-kulturelle" und wissenschaftliche Potential eines Landes zu beschützen, wird in vielen Ländern Internetzensur betrieben, berichtet ROG. Ihrem Bericht (PDF) zufolge sind zurzeit mindestens siebzig Cyberdissidenten inhaftiert, davon fünfzig Blogger in China.

Der Chaos Computer Club (CCC) setzt sich intensiv mit diesem Thema auseinander. Bereits seit seiner Gründung unterstützt der CCC freie Meinungsäußerung, ungehinderte Kommunikation und Internationalität im World Wide Web. Mit einer Kampagne kämpfen die Mitglieder seit 2002 für die Wahrung der Menschen- und Grundrechte in einem freien Internet. Konkret wurde dieser Kampf für die Informationsfreiheit 2008 in China, als tausende Reporter das Reich der Mitte bereisen, um dort über die "Olympischen Spiele" zu berichten und bei ihrer Berichterstattung vor einer elektronischen Chinesischen Mauer standen.
Geschichte der Netzsperren

Bereits im im Februar 2002 hat die Bezirksregierung Düsseldorf mit ihrem Regierungspräsident Jürgen Büssow alle Provider des Landes Nordrhein-Westfalen verpflichtet, zwei Internet-Seiten aus den USA für deutsche Kunden zu sperren. Dieses war ein erster Schritt. Inzwischen wird eine Zensur-Infrastruktur geplant, die es erlauben soll, landesweit Webseiten per Mausklick zu sperren.
Dies ist nicht der erste Fall von Zensurmaßnahmen im World Wide Web.
Beispiele

Sommer 1996: Die Bundesanwaltschaft fordert von den deutschen Providern die Sperrung der in den Niederlanden gehosteten Webseite der Zeitschrift "Radikal". Selbst die Homepage der damaligen stellvertretenden PDS-Bundesvorsitzenden Angela Marquardt wird gesperrt, weil sie einen Link zur Radikal-Seite gesetzt hat. Nachdem dutzende von Mirrorseiten entstanden sind, gibt die Behörde kleinbei.
Herbst 2000: Auf Betreiben der US-Behörden wird dem Österreicher Hans Bernhard die Domain vote-auction.com entzogen, die dieser in der Schweiz registriert hatte. Weder in der Schweiz noch in Österreich verstießen die Inhalte gegen geltendes Recht.
Frühjahr 2002: Auf Betreiben von Scientology kappt das US-Unternehmen Cignal die Verbindungen des holländischen Providers Xtended Internet. Ein Kunde des Providers hatte eine Seite ins Netz gestellt, die sich kritisch mit der Sekte auseinandersetzt.
Herbst 2002: Die Schweizer Untersuchungsrichterin Françoise Dessaux fordert die Schweizer Provider auf, zwei Webseiten zu sperren, und droht sogar mit einer Anklage wegen Beihilfe. Es geht um einen simplen Fall von Ehrverletzung. Während die Provider der Anordnung Folge leisten müssen, bleibt der Urheber der Seiten vorerst ungeschoren.
Weitere Beispiele lassen sich auch in der
Materialsammlung (PDF) der Deutschen Arbeitsgemeinschaft zur Verteidigung der Informationsfreiheit in Datennetzen (DAVID) nachlesen.
Bundestagswahlkampf 2009: Die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen (Zensursula) unterzeichnete zunächst medienwirksam Sperr-Verträge zwischen dem BKA und fünf Internet-Zugangs-Anbietern, um dann ein Internet-Sperren-Gesetz (Zugangserschwerungsgesetz) auf den Weg zu bringen. Die Folge war die bis dato erfolgreichste Online-Petition gegen dieses Gesetz.

Warum Netzsperren schlecht sind
Die vielzitierten Probleme Nazi-Propaganda und Kinderpornographie lassen sich nicht durch Sichtblenden im Internet lösen. Die Seiten bleiben nach wie vor im Netz. Es wird niemand zum Nazischläger, nur weil er sich auf einer Internetseite verirrt hat. Man kann die Nazis im Netz nicht ausblenden, wenn sie real durch deutsche Städte marschieren. Für die Extremisten selbst stellen die Sperren, wie man in der Vergangenheit sehen konnte, keine besondere Behinderung dar.
"Auch rechtsradikale Propaganda ist als Information nützlich. Sie verweist auf gesellschaftliche Probleme, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen", sagt CCC-Sprecher Andy Müller-Maguhn.
Das Totschlagargument Kinderpornographie schlägt ebenso fehl. Kinderpornos sind weltweit illegal. Wo immer solche Bilder auftauchen, kann die Justiz des Staates direkt eingreifen und die Täter verfolgen. Sichtblenden sind also unnötig.
Grundsätzlich können die Netzsperren als unzureichend eingestuft werden.
Der Zugang wird erschwert, aber nicht vollends verhindert, erst recht nicht wird gegen die beanstandete Seite vorgegangen. Die jetzigen Sperren lassen sich einfach durch die Änderung des DNS umgehen.
In den Schubladen einiger Unternehmen liegen bereits Konzepte für eine komplette Sperrungs-Infrastruktur. Sobald diese etabliert ist, wird es nicht lange dauern, bis tausende Seiten gesperrt werden, sei es aus politischen, wirtschaftlichen oder sonstigen Motiven.
Die internationale Konnektivität ist nachhaltig gefährdet! 

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